Wissenschaft und Spiritualität

Vom 15. bis 17. August fand das diesjährige Treffen der Deutschen Gruppe des Scientific and Medical Network im St. Jakobushaus in Goslar statt. Thema war die Verbindung von Wissenschaft und Spiritualität. Hier die Beiträge als PDF-Dateien:

Hier ein Link zum Programm (der Beitrag von Ron Engert musste leider wegen Krankheit entfallen)

Bericht vom Jahrestreffen 2008 (hier zum auch runterladen als PDF-Datei)

Wissenschaft und Spiritualität, wie lässt sich das verbinden? Oder noch grundsätzlicher gefragt, was ist Wissenschaft und was ist Spiritualität? Um diese Themen drehte sich unser Jahrestreffen in Goslar. Unsere heutige westliche Welt ist beherrscht von Rationalität und Materialismus.  Materialismus nicht nur in dem Sinne, möglichst viele Güter anzuhäufen, sondern in dem Verständnis, dass unsere Welt als nur aus Materie und Energie bestehend und nach Naturgesetzen funktionierend aufzufassen sei. Demgegenüber wird Spiritualität meist mit Religion gleichgesetzt und einer nicht wissenschaftlich erklärbaren Sphäre zugeschrieben.

Aber sind Wissenschaft und Spiritualität wirklich so unvereinbar, und ist Spiritualität mehr als nur Religion? Eine Umfrage, was unter Spiritualität zu verstehen ist, unter den Teilnehmer/innen zu Beginn der Tagung, ergab eine breite Palette von Antworten, die von Religion bis zur Ratlosigkeit über den Begriff alles umfasste. Klar war nur, dass Spiritualität keinesfalls mit Religion gleichzusetzen ist. Und klar war auch, dass Wissenschaft eine Menge mit Spiritualität zu tun hat, und dass sich beide befruchten können, wie man in der Geschichte der Wissenschaften an vielen Wissenschaftlern sehen kann, z. B. Heisenberg, Pauli, von Weizsäcker und Schrödinger, aber auch umgekehrt, wie beim Dalai Lama, der sich sehr für den Dialog mit der Wissenschaft interessiert.

Begonnen wurde die Tagung mit einer Einführung in die Wissenschaftsgeschichte. Dr. Stephan Krall gab einen Überblick über wissenschaftliches Denken und die damit einhergehende Entwicklung einer Methodik der Wissenschaft. Heutige Wissenschaft funktioniert ist erster Linie nach empirischen Verfahren (logischer Empirismus), deren Väter im Prinzip Newton und Galileo waren. In den siebziger Jahren aber kam die Methode unter Beschuss. Paul Feyerabend bemerkte kritisch-ironisch, dass viele große Leistungen der Wissenschaft eben nicht nach dieser Methode zustande kamen.

Aber neben der Beschäftigung mit Regeln und Gesetzen, wie es die Wissenschaft macht, gibt es auch die Beschäftigung mit dem Einzelfall, ungemein wichtig in der Psychologie und Medizin. Daraus lassen sich aber keine Gesetze ableiten. Ebenso entzieht sich die Beschäftigung mit dem Ganzen, also dem Kosmos, der Empirie, da es nur einen Kosmos gibt und keine Vergleiche möglich sind. Erst recht gilt das für das Nachdenken über das Ganze hinaus, also das klassische Gebiet der Religionen. Dennoch wird auch von Wissenschaftlern die Intuition, die in der Spiritualität eine große Rolle spielt, als Methode anerkannt, allerdings immer vorausgesetzt, dass sich die damit gewonnenen Erkenntnisse später empirisch bestätigen lassen.

Ein Wissenschaftler, der über die Grenzen seiner Wissenschaft, der Physik, hinaus dachte, war Wolfgang Pauli (1900-1958). Dagmar Mundhenke stellte diesen vielen Menschen unbekannten aber bedeutenden Physiker und Nobelpreisträger in seiner Beziehung zu Carl Gustav Jung, dem Psychiater und Psychoanalytiker vor. Pauli geriet durch eine Lebenskrise in Kontakt mit Jung, den er für therapeutische Zwecke in Anspruch nahm. Daraus entwickelte sich eine Jahrzehnte währende kreative Zusammenarbeit bis zum Tode Paulis.  Jung machte Pauli mit seinem Konzept der archetypischen Bilder bekannt, archaische Bilder, die im Unterbewussten der Menschen liegen und von dort vor allem in Träumen abgerufen werden. Pauli versuchte dies auf seine Wissenschaft anzuwenden, indem er auch hier archetypische Grundformen vermutete. Gemeinsam entwickelten beide die Idee der Komplementarität und das Prinzip der Synchronizität. Mit Komplementarität bezeichneten sie die Einsicht, dass es zu jeder Beschreibung der Natur eine zweite gibt, die ihr auf der ersten Blick widerspricht, sie aber in der Tiefe ergänzt, wie z. B. der Welle-Teilchen Dualismus. Synchronizität ist das gleichzeitige Auftreten von Ereignissen, die zwar nicht ursächlich zusammengehören, aber als solche empfunden werden. Pauli selber war berühmt und berüchtigt für diese Koinzidenzen, die man ironisch in Anlehnung an seine Arbeit, mit der er den Nobelpreis erlangte, Pauli-Effekt nannte.  So wirkte sich Paulis Anwesenheit in Labors häufig dergestalt aus, dass Versuche scheiterten oder technische Geräte kaputt gingen, wie z. B. das Zyklotron in Princeton, das ohne ersichtlichen Grund abbrannte, als Pauli für einen kurzen Besuch an die Universität kam.

Pauli hat tausende seiner Träume auf Anraten von Jung aufgeschrieben und er führte über Jahrzehnte einen intensiven Briefwechsel mit Jung, der bis heute nur zu einem kleinen Teil ausgewertet worden ist. Pauli und auch Jung stellen somit eine Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Spiritualität dar.

Dr. Gudrun Bornhöft schloss an diese Ausführungen mit einem Beitrag über die Möglichkeiten des wissenschaftlichen Nachweises immaterieller  Kräfte im Heilungsprozess an. Viele Komplementärmedizinische Verfahren nutzen zu Heilung offenbar auch spirituelle Komponenten. Es stellt sich somit die Frage nach der wissenschaftlichen Zugänglichkeit zu diesen Komponenten. Von den vier aristotelischen Ursachen, der causa materialis, causa efficiens, causa formalis und causa finalis werden heute nur noch die beiden ersten als naturwissenschaftlich akzeptiert. Die formbildenden Kräfte und die Zielgerichtetheit (Teleologie) werden nicht mehr als zulässig angesehen.

In der Medizin gilt die empirische Wissenschaft als non plus ultra und  der Geist ist weitgehend verbannt. Dennoch gibt es auch qualitative Forschung, bei der prozesshaft und interaktionell nach Sinnzusammenhängen gesucht wird. Das könnte ein Ansatz sein, immaterielle Komponenten im Heilungsprozess nachvollziehbar darstellen zu können. Es ließe sich ein Pyramidenmodell entwickeln mit den Ebenen Substanz (Basis), Form (Mittelebene) und Sinn/Bedeutung (Spitze), das man in zwei Richtungen lesen könnte: Substanz als Träger der Form und Form als Träger des Sinns und der Bedeutung, oder aber der Sinn bedingt die Form und die Form strukturiert die Substanz. Die aristotelische causa efficiens (energeia) wäre dann die Kraft, die zwischen den Ebenen vermittelt. Heute ist in der Naturwissenschaft und Medizin aber nur die Richtung von unten nach oben zulässig. Es muss aber auch zulässig sein, die andere Richtung, von oben nach unten zu postulieren. Die Nachweismethoden der Wirksamkeit immaterieller Faktoren sind vor allem qualitativer Natur: Moderierte, dokumentierte und qualitativ analysierte Gespräche mit Experten oder auch Gruppeninterviews.

Eine grundlegende Frage der Wissenschaft behandelte Robert Gansler in seinem Vortrag über Fremd- oder Selbstorganisation. Die heutige Wissenschaft geht reduktionistisch vor und versucht jedes Phänomen auf Naturgesetze zu reduzieren. Auch sog. Wunder seien früher oder später erklärbar. Newton sah die Welt als ein Uhrwerk, Einstein relativierte den Raum und die Zeit, die Quantenphysik spricht von Wahrscheinlichkeiten und die Chaostheorie beschreibt die Welt als vom Zufall regiert. Die Komplexitätstheorie, eine Erweiterung der Chaos-Theorie, spricht von Selbstorganisation und Emergenz, dem Erkennen von Mustern im Chaos. Unter Emergenz wird das Auftauchen von Merkmalen auf einer höheren Ebene verstanden, die sich nicht aus den Merkmalen der Komponenten der niedrigeren Ebene vorhersagen lassen, oder wie Aristoteles sagte, „das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“. Selbstorganisation ist das spontane Auftreten neuer stabiler Strukturen und Muster fernab vom thermodynamischen Gleichgewicht. Diese Strukturen müssen offene Systeme sein, ständig im Ungleichgewicht und am Rande des Chaos. Überschreiten solche Systeme einen kritischen Punkt, dann zerfallen sie und es entstehen neue Subsysteme. Das Fazit zu der Frage Fremd- oder Selbstorganisation ist ein sowohl als auch. Einfache Hintergrundprogramme können eine erfolgreiche Selbstorganisation in Gang setzen, aber ein Minimum an Hintergrundsteuerung ist in den meisten Fällen nicht wegzudiskutieren.

Dr. Stephan Krall schloss an diese Überlegungen mit der Frage an, ob alles kausal begründet und Zufall ist, oder ob es einen Plan gibt und die Dinge final auf ein Ziel zustreben? Die meisten Wissenschaftler sind Deterministen, d. h. sie begründen alles kausal und meinen, dass aus bestimmten Ursachen bestimmte Wirkungen entstehen müssen. Zwar können sie nicht alles vorhersagen, aber das läge nur an mangelnder Rechnerleistung. Eine Ausnahme bildet die Quantentheorie, die nur von Wahrscheinlichkeiten spricht und nicht vorhersagen kann, wie sich ein Zustand entwickelt. Dies sei auch tatsächlich offen und nicht vorherbestimmt. Aber auch die meisten Quantenphysiker gehen nicht von einem Ziel (telos) aus, auf das Dinge hinstreben. Aber genau das nahmen fast alle großen Philosophen der Geschichte an, und auch in der Naturwissenschaft war dieses Denken bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts weit verbreitet. Es war damit meist ein impliziter Plan gemeint, der hinter den Dingen steht, oder zumindest Attraktoren, die Vorgänge in bestimmte Richtungen lenken. Wissenschaftler wie der deutsche Biologe Hans Driesch nahmen ein Wirkprinzip (Entelechie) an, oder einen Lebensschwung (élan vital), wie der französische Philosoph Henri Bergson. Verschiedene Wissenschaftler versuchten in den letzten Jahrzehnten eine Brücke zu schlagen, indem sie in Naturgesetze hinein einen Plan interpretierten. Sie wollen damit erklären, dass in der Natur eine Höherentwicklung stattfindet. Letztendlich wird man in der Natur beide Wirkprinzipien annehmen müssen, das der Kausalität, das viele Bereiche unseres Lebens beherrscht, aber auch das der Finalität, ohne das viele Vorgängen in der belebten Natur nur sehr schwer zu erklären sind.

Dr. Jens Tesmer erläuterte anhand von Versuchen, die bei Ciba Geigy durchgeführt wurden, wie durch ein statisches Elektrofeld Lebewesen so verändert wurden, dass offenbar frühere Pläne abgerufen wurden, und neue, teils altertümlich wirkende Lebewesen entstanden, die nach gängiger Meinung so nicht im Erbgut angelegt sein konnten. Ob diese Veränderungen aber allein mit statischen Elektrofeldern erklärt werden können, ist fraglich. Vielleicht handelt es sich auch um ein bisher nicht anerkanntes oder beschriebenes biologisches Feld, das mit dem Elektrofeld interagiert, und das vielleicht sogar in ein größeres spirituelles Feld eingebettet gedacht werden kann.

Den Abschluss der Tagung bildete Dr. Hans Hönl, der versuchte, sich dem Phänomen des Geistigen zu nähern. Die Geist-Materie Debatte ist eine uralte, bis heute ungelöste. In diese Debatte gehört auch der Begriff Leben. Aus diesem Grund beschäftigen sich immer mehr Naturwissenschaftler damit und überlassen den Diskurs nicht mehr allein den Philosophen. Geist ist ein abstrakter Begriff, der für sich genommen keine Entität darstellt, er ist kein Ding oder Substanz. Diesem Geist steht Materie gegenüber, die aus Grundlegendem aufgebaut ist. Aufgrund der Wechselwirkung von Elementarteilchen entstehen komplexe Strukturen, die als neue Einheiten mit einer neuen Identität fungieren. Aus diesen Einheiten, den elementaren Wahrnehmungs- und Reflexionszentren bilden sich Bewusstseinszentren. Somit ist Subjektives mit Materiellem verwoben und der Begriff des Geistigen ist nicht mehr zwingend, er löst sich auf. Die Komplexität des Lebens, die zielgenaue Wirkung von Makromolekülen ist nur schwer zu erklären. Sie agieren als ob sie eine gewisse Autonomie besäßen. Auch die Erbsubstanz, die DNS arbeitet mit einer kaum erklärlichen Präzision. Insofern ist es auch unwahrscheinlich, dass die heutige Wissenschaft auch durch noch so intensive Forschung in der Lage sein wird, diese Fragen zu beantworten. Ein Umdenken ist deshalb notwendig. Geistiges, wie oben beschrieben, und Leben scheinen aus der gleichen Grundeigenschaft der Materie zu resultieren, nur wird das, was wir unter Leben verstehen, erst ab einer gewissen Komplexität der Materie hervorgebracht. Geist und Leben basieren auf elementaren Eigenschaften der Materie, der Subjektivität. Damit ist die Problematik Geist-Materie aufgelöst und das Phänomen Leben lässt sich verstehen, ohne dass die Naturgesätze verändert werden müssen, sie werden nur ergänzt.

Als Gast hielt die Russin Dr. Natalia Shareyko am Samstagabend einen Vortrag über ihre biosensorische Arbeit an einem St. Petersburger Institut. Dort werden telekinetische Versuche angestellt und nachgewiesen, dass alle Menschen diese Fähigkeit in unterschiedlicher Ausprägung besitzen, und sie erlernbar ist. Es gibt eine uns nicht unmittelbar zugängige Ebene, die dieses Wirkungen hervorruft. Zur Demonstration wurden im Anschluss an den Vortrag meditative Übungen mit den Teilnehmer/innen durchgeführt.

Das Treffen war wie immer nicht nur umrahmt von der schönen Atmosphäre des St. Jakobushauses, sondern von vielen interessanten Diskussionen in einer offenen und konstruktiven Atmosphäre. Und natürlich gab es auch wieder Qi Gong Übungen, angeleitet von Cornelia Krall, die symbolisch und auch praktisch den Menschen zwischen Himmel und Erde aufspannten, und somit gut zum Thema Wissenschaft und Spiritualität passten.

Leider fiel krankheitsbedingt mit Ronald Engert ein Hauptredner zum Thema Spiritualität aus und wir müssen uns ein anderes Mal mit Ken Wilber und seiner Synthese von Spiritualität und Wissenschaft beschäftigen.