Das Wesen der Zeit - Evolution in der Kritik

Der Bericht ist auch als PDF-Datei verfügbar

Vom 29. Juni bis 1. Juli 2007 trafen sich Mitglieder und Freunde der deutschen Gruppe des SMN in Goslar im Harz, um über die Themen Das Wesen der Zeit und Evolution in der Kritik zu diskutieren.

Das Wesen der Zeit

Das Thema Zeit, das uns am ersten Tag des Treffens beschäftigte, stellte sich als äußerst spannend auf der einen Seite, aber auch schwer zugänglich auf der anderen heraus. In einer Einführung hob Frank Lotzkat hervor, dass wir die Zeit nicht verstehen können, solange wir Menschen sind, da unser Zeithorizont zu begrenzt sei, um die zeitlichen Dimensionen des Seins zu überblicken. Um in unserem Leben mit der Zeit klarzukommen, zerstückeln wir sie und bedienen uns verschiedener Hilfsmittel (Uhren, Kalender, Jahreszeiten, dem Lauf der Gestirne). Wir glauben, dass die Zeit einen Anfang und ein Ende hat, aber ist das wirklich so? Wenn es eine Geschwindigkeit jenseits der Lichtgeschwindigkeit gibt, bleibt dann die Zeit stehen oder fließt rückwärts? Gilt dies auch, wenn sich das Universum einst kontrahiert und wie haben wir uns das vorzustellen? Alles bedingt einander gegenseitig, die Vergangenheit die Zukunft und umgekehrt. Die Zeit hat keinen Anfang und kein Ende, dehnt sich aus und schrumpft zusammen, fließt vorwärts und rückwärts in Abhängigkeit von der Masse und ihrer Bewegung. Das alles liegt aber jenseits menschlicher Sinneswahrnehmung.

Im Anschluss berichtete Ulrich Kramer über die psychologischen Aspekte der Zeit. Er stellte dar, wie sich Zeit durch individuelles Erleben in jedem einzelnen manifestiert, und dass es keine zwei gleichen Zeiten gibt. Zeit ist im transzendentiellen Sinne sogar endlos vorhanden, d. h. sie ist Ewigkeit, hat keinen Anfang und kein Ende, sondern ist das fortwährende Jetzt. Um Zeit zu erleben, brauchen wir einen physischen Raum mit Bewegung von Teilchen und einen Aktionsablauf. Wenn alles stillsteht, erleben wir keine Zeit. Die subjektive Messung der Zeit erfolgt durch Erinnerung an Aktionsabläufe, die objektive Zeit durch Übereinkünfte in Bezug auf sich wiederholende Aktionsabläufe. Bei planmäßiger Abwicklung der Aktionsabläufe vergeht Zeit schnell, bei Hindernissen langsam. Psychologisch gesehen fließt Zeit weder selbständig dahin, noch macht sie dies gleichmäßig. Zeit bedeutet das Erlebnis von Veränderung und ist somit relativ.

Robert Gansler ging auf die Zeit als physikalisches und thermodynamisches Phänomen ein. Zunächst erinnerte er daran, dass Zeit im Prinzip einer physikalischen Beschreibung nicht zugänglich ist. Was man misst, wenn man die Uhrzeit abliest, ist physikalisch nach wie vor ungeklärt.

Die Erkenntnisse der Quantenphysik haben gezeigt, dass man in eine materielle Leere stößt, wenn man ins Innerste der Materie vordringt, in ein raum- und zeitfreies Vakuum. Materie ist also nicht aus Energie und Materie aufgebaut.

Während für Einstein Raum und Zeit durch die begrenzte Lichtgeschwindigkeit determiniert und untrennbar miteinander verbunden waren, stieß Heisenberg mit der Entdeckung seiner Unbestimmheitsrelation auf die indeterministische Natur der Materie. Ort und Zeit von Photonen lassen sich nicht gleichzeitig bestimmen.

Ganslers These ist, dass sich jenseits der Lichtgeschwindigkeit nicht nur Materie auflöst, sondern auch die Geschwister Raum und Zeit getrennte Wege gehen. Im Vakuum lassen sie sich als imaginäre Strukturen unterhalb der Planckschen Dimensionen beispielsweise in Form von Platonischen Körpern modellieren. Bereits im Vakuum unterliegen diese imaginären Strukturen einer Quantenevolution; aber erst durch die Verschmelzung von kompatiblen Raum- und Zeitquanten entstehen reale materielle Strukturen und die Raumzeit. Sein Platonisches-Körper-Modell stellte Gansler in Beziehung zum Modell der Loop-Quantengravitation.

Die Zeitentwicklung innerhalb der Raumzeit leitet Gansler gemäß dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik aus dem grundsätzlichen Streben abgeschlossener Systeme nach maximaler Entropie her. Dem wirkt jedoch die fortwährende Bildung von Ordnung in offenen Systemen, so genannte dissipative Strukturen, entgegen.

Die Zeit verläuft damit nicht gleichförmig, wie unsere Uhren und Kalender suggerieren, sondern unterliegt Schwankungen hinsichtlich der Zeitdichte. Als ein mögliches Erklärungsmodell verwies Gansler auf die Global Scaling Theorie von Dr. Hartmut Müller.

Werner Held referierte über den qualitativen Zeitbegriff in der Astrologie. Dieser qualitative Kairos ergibt sich aus dem Zusammenspiel der aktuell konstellierten Archetypen: Planetenaspekte, z. B. Jupiter-Uranus (die geglückte Befreiung), Planeten in Tierkreiszeichen u. a. Held beschrieb die Archetypen in seiner Archetypischen Astrologie mit Verweisen auf Plato, C. G. Jung und Richard Tarnas als basale transzendente Energieformen, die die fortwährenden Neuschöpfungen auf Erden in ihrem vertikalen Verwirklichungsweg imprägnieren. Die Schöpfungen atmen sozusagen die Zeitqualität mit aus. Durch diese bedeutungsstrukturierende Symphonie der angeordneten Himmelskörper des Sonnensystems und des Fixsternkosmos als Gesamtholon ließe sich einerseits von einer holistischen Kausalität, einer archetypischen Kausalität sprechen, andererseits ist auch die ko-kreative Wirkung des Menschen zu betonen, der auch die potenzielle Zeitqualität entsprechend aktualisieren, d. h. verwirklichen kann („wie oben so unten“).

Allgemein ergeben sich folgende beobachtbare Zeitphänomene:

·         Die Synchronität, das Auftreten räumlich getrennter Ereignisse zur selben Zeit mit demselben archetypischen Inhalt.

·         Die Diachronität, aufeinander folgende Hauptkonstellationen (Konjunktion, Quadrat, Opposition) desselben Archetyps, die sich aufeinander beziehen.

·         Die Zeitfensterresonanz. Durch die Formresonanz derselben Archetypanordnungen öffnen sich Zeitfenster zu längst vergangenen Zeiten. Zu dieser Zeit tauchen Inhalte vergangener Zeit wieder auf.

·         Die multizyklikale Zeit. Die Zeitqualität verläuft nicht chronologisch, sondern zyklisch von Konjunktion zu Konjunktion und in Wahrheit multizyklisch, z. B. die krisenhaften Saturn-Pluto-Zyklen, die Sonne-Mond-Zyklen u. v. m. In der historischen Analyse zeigt sich deutlich, wie die Zyklen spiralförmig in höherer Oktave auf vergangene Zyklen derselben Art aufbauen.

Als letzter Sprecher des ersten Tages umriss Dietmar Sedlmayr noch einmal das Wesen der Zeit. Die christlich-abendländische Kultur hat sich im Wesentlichen damit begnügt, die Zeit als Attribut des Daseins im Gegensatz zur Ewigkeit aufzufassen. Mit der Säkularisierung entschwand die Ewigkeit und es blieb die lineare starre Zeit. Daran hat auch Einsteins Relativierung der Zeit nichts geändert. Mit Gebser sollte man sich der Zeit aber von ihrem Gegenteil her nähern, der Zeitfreiheit und der Ursprungsgegenwärtigkeit. Zeit als eine Eigenschaft der Materie existiert in so vielen Formen wie es Menschen gibt und letztlich überhaupt Leben. Äußere und innere Zeit sind untrennbar verflochten, jene ist die Abstraktion der konkreten, seelischen. Der Mensch ist gleichsam fleischgewordene Zeit und sollte versuchen, mehr Kairos (die Weitung des seelischen Erfahrungshorizonts für Augenblicke) im Kronos (lineare, zerstückelnde, verschlingende Zeit) zu verwirklichen. Der gemeinsame Nenner für alle findet sich in den Zyklen der Erdrotation. Die Jahreszeiten treffen uns auch in der Seele und werden in ihrer Zeitqualität unterschiedlich empfunden.

Evolution in der Kritik

Am Sonntag widmeten wir uns dem Thema „Evolution in der Kritik“. Stephan Krall führte in die Theorie des Darwinismus ein, demzufolge Organismen eine Variabilität zeigen, die auf deren zufällig veränderte DNS über Mutation bzw. genetischer Rekombination zurückgeht. Organismen die mit ihrer DNS nicht in die Umwelt hineinpassen überleben nicht.

Es  folgte ein Beitrag von Jens Tesmer, der sich kritisch mit dem Darwinismus auseinander setzte. Trotz der verblüffenden Einfachheit der darwinistischen Theorie gibt es Paradoxa. Sollte die Evolution lediglich an der Art ansetzen, so müsste es einen enormen Wettbewerb um Ressourcen geben. Wenige konkurrenzstarke Arten, die zudem Generalisten sind, sollten sich durchsetzen. So ist es beispielsweise im afrikanischen Victoriasee zu beobachten, wo die eingeschleppten Nilbarsche in kurzer Zeit die heimische sehr artenreiche, fein abgestimmte Vergesellschaftung von Buntbarschen drastisch dezimiert hat. Es sollten sich zudem Organismen mit kurzen Generationszeiten stärker verändern als Organismen mit langen Generationszeiten. Die Grundbaupläne der Bakterien haben sich in den letzten 600 Millionen Jahren nicht wesentlich verändert, die der Vielzeller schon. Gerade bei den Vielzellern, deren Bauplänen und Genetik tauchten viele unbeantwortete Fragen auf.

Im Anschluss daran stellte Stephan Krall die Ansätze einer schöpferischen Ökologie dar, in der Lebewesen als fühlende Subjekte aufgefasst werden, die einen Drang zum leben wollen und ein Gefühl über das Leben haben. In dieser Theorie ist Evolution keine Abfolge von Zufälligkeiten und Lebewesen nur Maschinen, sondern diese sind „beseelt“ und wollen leben und mehr leben. Aus diesem Wollen heraus entsteht Entwicklung und findet Evolution statt. Lebewesen sind nicht als isoliert aufzufassen, sondern leben im einem komplexen Netz mit allen anderen Lebewesen, aber auch der unbeseelten Natur. Durch diese Symbiose erkennen wir in jedem anderen Lebewesen uns selber und können nur durch sie uns selber erkennen, und durch Zerstörung und Verarmung der Umwelt zerstören und verarmen wir ebenfalls uns selber. In der schöpferischen Ökologie werden die Mechanismen des Darwinismus nicht abgelehnt, sondern um neue Mechanismen wie die retikulate Evolution, d. h. die Vermischung verschiedener Arten ergänzt, wie auch die Besonderheit von Larvenstadien und deren Umwandlung in verschiedene Arten (siehe auch Buchbesprechung auf diesen Seiten).

Den drei Vorträgen folgte eine angeregte lange Diskussion, in der es vor allem um die Fragen zugrunde liegender morphischer Felder für die Entstehung von Bauplänen ging, sowie dem ästhetischen Prinzip in der Natur. Die Natur folgt demnach bestimmten, von uns als ästhetisch empfundenen Prinzipien, die sich dann auch in den Lebewesen manifestieren. Morphische Felder sind existent und könnten z. B. durch Katastrophen destabilisiert werden uns sich danach zu neuen Bauplänen zu rekombinieren, und dadurch in kurzer Zeit viele neue Baupläne entstehen zu lassen, wie in der kambrischen Explosion.

Sind Zeitreisen möglich?

Abgerundet wurde das Treffen durch viele Diskussionen während des Tages und an den beiden Abenden. Darüber hinaus wurde ein spannender BBC-Film gezeigt, der die Frage stelle, ob Zeitreisen möglich sind. Am Ende des Films blieb diese Frage offen, wenngleich Zeitreisen theoretisch denkbar scheinen. Ein Physiker meinte, dass er nicht glaube, dass Zeitreisen möglich seien, aber wenn dem doch so ist, dann möchte er dabei sein.

Wie immer war es ein gelungenes Treffen mit vielen neuen Anregungen, aber sicherlich auch vielen offenen Fragen. Die Zeit war wahrscheinlich zu knapp, um dem Wesen der Zeit auf den Grund gehen zu können, sofern das überhaupt möglich ist. Beim Thema Evolution sind wir den offenen Fragen ein Stück näher gekommen und hier wird eine Richtung deutlich, die es weiter zu verfolgen gilt.

Zu allen Beiträgen können die Autoren sicherlich mehr Auskunft geben. Sie sind über die Redaktionsadresse der SMN-Seiten individuell zu erreichen (smn-germany@t-online.de). Die vielen Diskussionen haben wir zwar dokumentiert, aber können diese leider nicht in komprimierter Form vermitteln. Das Beste ist, selber einmal an einem SMN-Treffen teilzunehmen.