Gehirn - Geist - Bewusstsein

Hexentanzplatz

Das Treffen fand im Dezember 2000 an einem Ort im Harz statt, der den symbolträchtigen Namen Hexentanzplatz trägt. Dieser Begriff wurde zum Anlass genommen, sich dem Thema Bewusstsein anzunähern. So wie eine Hexe ein Wesen ist, dass in zwei Welten lebt, in unserer, über die wir einen weitgehenden Konsens haben, und einer individuellen, transzendenten, so ist auch das Bewusstsein etwas, das Grenzen überschreitet, z.B. die Grenze des Körperlichen. Dieser Dualismus, zwischen Erfahrung und Erkenntnis, Ich und All, erfahren wir in der schweren Fassbarkeit dessen was Bewusstsein ist.

                                                                                Bewusstsein

Mittagsspaziergang; Bernhard Harrer, Cornelia Schichtel, Werner HeldDer Versuch, sich dem Phänomen Bewusstsein rein physikalisch zu nähern stößt an eben diese Grenzen der Überschreitungen. Eccles, wohl der bekannteste Hirnforscher, gibt dieses Dilemma in seinem Buch „Die Evolution des Gehirns - die Erschaffung des Selbst“ ungewollt anschaulich wieder. Auf fast 380 Seiten versucht er sich dem Bewusstsein von der naturwissenschaftlichen Seite zu nähern und erläutert eine eigene quantenphysikalische Deutung, wie das Bewusstsein sich über die reine Physis des Gehirns erhebt und diese zu steuern in der Lage ist. Aber auf den letzen zwei Seiten kommt dann die überraschende Aussage: „Da unsere erlebte Einmaligkeit mit materialistischen Lösungsvorschlägen nicht zu erklären ist, bin ich gezwungen, die Einmaligkeit des Selbst oder der Seele auf eine übernatürliche spirituelle Schöpfung zurückzuführen. Um es theologisch auszudrücken: Jede Seele ist eine neue göttliche Schöpfung, die irgendwann zwischen Empfängnis und der Geburt dem heranwachsenden Fötus ‚eingepflanzt‘ wird.“

Quantenphysik

Dieses Dilemma durchzog auch die Diskussionen des Treffens. Versuche, das Bewusstsein physikalisch oder materialistisch zu erklären, auch wenn dies nicht reduktionistisch angegangen wird,  stößt immer an Grenzen. Andererseits scheint ein Dualismus, mit dem sich Descartes aus der Affäre zog, auch keine befriedigende Lösung. Vieles, was im Gehirn passiert kann ohne Zweifel erklärt werden. Und wenn man die Quantenphysik zu Hilfe nimmt, die ja einen offenen, holistischen Ansatz bietet, ist dies auch in vielen Dingen dem Phänomen Bewusstsein gerecht. Aber was ist, wenn sich Bewusstsein bei Nahtoderfahrungen vom Körper trennt? Was ist mit Reinkarnationserfahrungen und wie können wir befriedigend den Freien Willen erklären, wenn es ihn gibt?

Bewusstsein im Tierreich

Eine weitere Schwierigkeit taucht auf, wenn man sich die Frage stellt, wo ist überhaupt Bewusstsein vorhanden. Bewusstsein ist offensichtlich an bestimmte körperliche Strukturen gebunden, von denen das komplexe Gehirn die zentrale ist. Dies kommt aber bei Lebewesen nur in wenigen Linien vor. Bei Bakterien, Protoctisten, Pilzen und Pflanzen ist es überhaupt nicht zu finden. Bei Tieren kommt es nur in zwei Zweigen vor, den Kopffüßern (Tintenfischen) und den Wirbeltieren. Und auch dort ist ein Bewusstsein bisher nur bei Vögeln und Säugetieren sicher nachgewiesen (beides warmblütige Gruppen). Gemessen am gesamten Tierreich oder an allen Lebewesen ist dies eine verschwindend kleine Gruppe.

Was ist aber mit all den anderen Lebewesen? Wie sind diese in der Lage sich als Individuum vom Quantenkontinuum abzugrenzen?

BeobachtereffektStephan Krall küsst die Hexe auf dem Tanzplatz

Leben ist definiert als etwas, das eine Grenze zwischen sich und der restlichen Welt bildet. Zwar ist Leben ein offenes System, das sich aber durch autopoietische Abgrenzung nur als solches erhalten kann. Der Titel eines Beitrages des Treffens war „Die Beobachtung als Übergang vom EinsSein zur Dualität“. Abgrenzung ist quantenphysikalisch nur durch einen Zusammenbruch der Wellenfunktion denkbar, der durch den sogenannten Beobachtereffekt zustande kommt. Beobachten kann aber nur jemand, der dies bewusst tut, also Bewusstsein hat. Beim Menschen ist dies kein Problem, aber hat die Amöbe Bewusstsein, indem sie sich von der Welt als autopietisches Wesen abgrenzt? Und wenn ja, was für eines?

Diese Fragen sind noch nicht schlüssig zu beantworten, auch wenn klar geworden ist, dass wohl auch Bewusstsein etwas Graduelles ist, d.h. es gibt nicht Bewusstsein oder keines, sondern es gibt dieses in verschiedenen Ausprägungen bis hin zu seiner komplexesten Stufe, dem Selbstbewusstsein, dem Bewusstsein, dass sich selbst erkennt. Dem Bewusstsein, das im Sinne Martin Bubers zwischen dem Ich-Es-Grundwort (Gegenstand) und dem Ich-Du-Grundwort (Gegenwärtigkeit) unterscheidet.

Wie unterschiedlich Erklärungsmodelle sein können, zeigte ein Beitrag über die Metaphysik der Ummites[1], die einen Multikosmos als gigantischen Organismus annehmen, ausgestattet mit einem „Gehirn“, in dem Lebewesen nur sensorische Organe sind. Letzteres sowie ein weiterer Beitrag zur Erklärung, wie die Welt entstanden sein könnte, hat uns übergeleitet zu dem Thema unseres kommenden Frühjahrstreffens: Weltmodelle.

Dennoch wird uns das Thema Bewusstsein weiter beschäftigen, auch wenn es derzeit kaum abschließen zu behandeln ist. Aber beruhigen wir uns damit, dass Letzteres uns überhaupt in die Lage versetzt, Treffen zu veranstalten, um darüber zu diskutieren. Eine kleine Hoffnung.

[1] Wer Ummites sind, kann hier nicht näher erläutert werden, es gibt darüber aber umfangreiche Schriften im Internet