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Treffen der Deutschen Gruppe des Scientific and Medical Network, 17./18. November 2001, Insel Hombroich
Dr. Stephan Krall
Dieser Beitrag wird nicht die erkenntnistheoretische Frage nach Leben erörtern, die in einem anderen Beitrag ausführlich behandelt wird. Er wird sich stillschweigend über das Goedelsche Theorem von 1931 hinwegzusetzen versuchen. Dieses sagt aus, dass wissenschaftliche Konzepte über das, was das Leben sei, stets wenigstens eine Aussage enthalten, die nicht aus ihren Axiomen folgt, sondern sich der Lebenspraxis und willentlichen Festlegungen verdankt (Gottwald 2000). Im folgenden soll Leben aus der Sicht eines Biologen betrachtet werden, allerdings nicht verhaftet im gegenwärtigen Paradigma der Naturwissenschaften.
Diese Frage ist wahrscheinlich nicht ganz so alt wie die Menschheit, aber sicherlich sehr eng an die Entwicklung des Selbstbewusstseins geknüpft. Der Mensch als ein einerseits offenes, aber von seiner Umwelt klar abgegrenztes System hat sich bestimmt sehr früh gefragt, was ihn und anderes Leben gegenüber unbelebter Materie auszeichnet. Erwin Schrödinger versuchte 1944 in seinem inzwischen berühmten Klassiker "Was ist Leben?" aus der Sicht eines Physikers auf nur gut 100 Seiten die Frage nach dem Leben zu beantworten (Schrödinger 1999). Seine Definition der Grundsubstanz des Lebens als ein aperiodischer Kristall ist wohl die bekannteste Aussage dieses Buches. Er spricht damit die Regelmäßigkeit oder Periodizität des Aufbaus der Gene an und die durch sie bedingte Invarianz[1] des Lebens. Andererseits drückt er damit aus, dass Leben eben nicht die langweilige Eintönigkeit eines Kristalls besitzt, zumindest, was dessen strukturellen Aufbau angeht.
Was mir als Definition sehr viel passender erscheint, ist der von den chilenischen Biologen Humberto Maturana und Francisco Varela geprägte Begriff der Autopoiese (griech. autos = selbst; poiein = machen) (Maturana & Varela 1987). Die autopoietische Organisation drückt aus, dass sich Lebewesen quasi ständig selbst erzeugen. Lebewesen sind von ihrer Umwelt klar abgegrenzte aber offene Systeme mit einem extrem hohen Organisationsgrad. Diesen müssen sie ständig durch Aufnahme neuer Ordnung aufrecht erhalten, um dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik (Entropiezunahme) entgegenzuwirken. Krankheit und Tod stellen einen Verlust an Ordnung dar, eine Zunahme der Entropie. Wird der Ordnungszustand im Körper zu klein, so kann das komplizierte System nicht aufrecht erhalten werden und der Tod tritt ein.
Die bereits oben erwähnte Invarianz ist ein weiteres wesentliches Merkmal von Leben. Lebewesen sind in der Lage aus sich selbst heraus Kopien zu fertigen, die vom Original nicht abweichen. Wenn es dennoch auch Varianz gibt, so drückt sich diese in allererster Linie im Phänotyp aus und nur in extrem minimalem Maße im Genotyp, eben durch jene winzigen Mutationen, die u. a. für die Evolution mitverantwortlich sind.
Das bisher Gesagte ist im wesentlichen moderne biologische Erkenntnis. Die Frage, die weiter unten behandelt wird, ist die, ob dies alles ist, was Leben ausdrückt? Ist nicht Leben mehr als die Summe seiner Teile? Geht beim Tod nicht mehr verloren als nur der hohe Ordnungsgrad der Materie?
Ein weiteres Element, das bereits nicht mehr ohne weiteres in das Paradigma der Naturwissenschaften gehört, ist der Begriff Information und Kommunikation als ein Merkmal von Leben. Leben ist nicht nur Materie, die nach chemikalischen und physikalischen Gesetzen funktioniert, sondern eines der Wesenselemente ist die Kommunikation zwischen den Einheiten, seien es Zellen, Organe, Artgenossen, Populationen, verschiedene Arten sowie letztendlich die gesamte Biosphäre. Das Grundelement der Kommunikation, die Information ist aber nicht mehr problemlos mit Physik und Chemie zu erklären. Deshalb ist Biologie auch nicht auf diese beiden anderen Naturwissenschaften zu reduzieren, sondern durchaus und absolut eine eigene Wissenschaft, selbst wenn dies sogar viele BiologInnen nicht wahrhaben wollen.
An dieser Stelle sei noch auf einen im Westen leider nicht mehr sehr bekannten russischen Wissenschaftler hingewiesen, Vladimir Vernadsky (1863-1945). Vernadsky war sich einerseits natürlich auch im klaren, dass Leben von seiner nicht belebten Umwelt klar abgegrenzt ist und nur aus sich selbst erzeugt wird. Andererseits wirft er erstmals die These auf, dass Leben auf das Engste mit seiner unbelebten Umwelt, der Erdkruste verwoben ist und diese genauso formt, wie es durch diese geformt wird. Es ist kein externes oder zufälliges Phänomen der Erdkruste, sondern lebende Materie (Vernadsky 1998). Eine These, die viel später dann zum Gaia-Prinzip von James Lovelock führte (Lovelock 1993).
Bedeutend scheint mir daran das Verständnis, dass Leben von dem ihn umgebenden Raum nicht getrennt betrachtet wird. Dies wird wichtig, wenn wir uns die Frage stellen, ob Leben ein Phänomen ist, das es in diesem Weltall nur per Zufall gibt, oder es integral dazu gehört.
Zusammenfassend noch einmal die drei wesentlichen Merkmale von Leben:
Autopoiese (ein sich immer wieder selbst schaffendes hochorganisiertes System, wozu ein intensiver Stoffwechsel gehört)
Invarianz (die Fähigkeit quasi identische Nachkommen zu erzeugen)
Kommunikation (die Fähigkeit, Informationen auszutauschen und damit einen hohen Organisationsgrad von intrazellulär bis zu interartlich und höher zu schaffen und aufrecht zu erhalten)
Die Frage nach der Entstehung des Lebens ist wohl genauso alt wie die Frage nach dem Leben selbst. Es gibt dazu viele Theorien, von denen sich die meisten mit der Entstehung des Lebens auf der Erde beschäftigen. Bereits Darwin spekulierte über einen kleinen warmen Teich, in dem in den Frühzeiten der Erde Leben entstanden sein könnte (in einem Brief an seinen Freund J. D. Hooker).
Ob nun erst eine Präzelle entstand (Abb. 1), in die dann genetisches Material gelangte oder aber genetisches Material, z.B. einfache RNS, bereits als Leben bezeichnet wird ("RNS-Welt"), und sich dann eine Zellhülle suchte; oder ob beides entstand, unabhängig voneinander, und bereits primitive Lebensfunktionen hatte, wie es Freeman Dyson (1999) postuliert, um sich dann irgendwann zu vereinen. All diese Theorien gehen davon aus, dass Leben sehr früh auf der Erde anzutreffen war, quasi sofort, als die Konditionen dafür bereit standen.
Letzteres wiederum hat diejenigen auf den Plan gerufen, die meinen, das Leben sei derart schnell entstanden, es könne nicht von der Erde stammen, sondern müsse von außerhalb auf die Erde gelangt sein und sich dann sofort, als die Rahmenbedingungen geeignet waren, entwickelt haben (Holye & Wickramasinghe 2000, Davies 2000). Wenngleich diese Frage ebenfalls keine Antwort auf die Entstehung von Leben gibt, ist es doch interessant, sich mit ihr auseinanderzusetzen.
Soviel Experimente auch gemacht wurden über die Umweltbedingungen auf der Erde, ist es erstaunlich, wie schnell das Leben entstand (Abb. 2). Die Wahrscheinlichkeit hätte eher für ein wesentlich späteres Erscheinen gesprochen, wenn überhaupt eines. Da aber andererseits alles Leben auf der Erde seinen Ursprung aus einfachen Prokaryoten nahm, also einzelligen Bakterien, muss man sich mit diesen näher beschäftigen. Bakterien sind extrem anpassungsfähige und widerstandsfähige Organismen. Bakterien, vor allem die Archaebakterien können unter großer Hitze wie großer Kälte leben, in Ölpfützen und Salzseen, ohne Sauerstoff und tief im Inneren der Erde. Sie haben alle erdenklichen Stoffwechselwege erfunden und können extremste Perioden in Ruhestadien über lange Zeiträume überstehen.
Eine Fernsehkamera, die mit einer unbemannten Surveyor-Kapsel 1967 auf dem Mond zurückblieb wurde zwei Jahre später von der Apollo-12-Mission geborgen und während der Rückkehr unter Quarantänebedingungen untersucht. Man fand lebende Bakterien der Art Streptococcus mitis. Offenbar hatten sie unter den extremen Bedingungen auf dem Mond zwei Jahre überlebt (Nachttemperaturen von -150 °C und fast +100 °C tagsüber).
Das prädestiniert sie natürlich für eine Reise durch den Weltraum. Holye & Wickramasinghe (2000) haben drauf hingewiesen, dass Kometen aus Staub und Eis bestehen, also durchaus Bedingungen aufweisen, die Bakterien zum Überleben ausreichen. Kometeneinschlägen oder auch nur der Berührung von Kometenschweifen sind wir und unsere Nachbargestirne ständig ausgesetzt. Ebenfalls gibt es Asteroiden- und Meteoriteneinschläge. Somit wäre es kein Problem zu erklären, wie Bakterien in unserer näheren Umgebung im All verteilt wurden und immer noch werden, ohne damit zu wissen, wo und wie sie entstanden sind. Der Eintritt in die Erdatmosphäre wäre trotz zu erwartender hoher Temperaturen erklärbar und wurde in Experimenten nachvollzogen.
Spektralmessungen von Escherichia coli, einem Bakterium, und dem Infrarotspektrum der nahe dem Zentrum der Milchstraße gelegenen astronomischen Quelle GC-IRS7 ergaben verblüffende Übereinstimmungen (Abb. 3).
Holye & Wickramasinghe gehen aber auch davon aus, dass höher entwickelte Organismen so auf die Erde gelangt sein können, nicht nur andere Protisten, sondern z.B. auch Arthrophoden, wie Insekten, nicht zu sprechen von höher entwickelten, menschenähnlichen Wesen. Dies halte ich für im ersteren Falle unwahrscheinlich, da Protisten wie z.B. Protozoen nicht derart widerstandsfähig sind wie Bakterien und im zweiten Falle für rein spekulativ.
Davies (2000) gibt darüber hinaus zu bedenken, dass im All unglaubliche Dimensionen herrschen, gegenüber denen unser Planetensystem winzig und übersichtlich ist. Es ist gibt für den Menschen fast keine Chance, intelligentes Leben außerhalb unserer Milchstraße zu finden, zumal die Kommunikationswege völlig andere sein können und auch das Auftauchen von höher entwickelter Intelligenz nicht koinzidieren muss, sondern dies eher unwahrscheinlich ist. Halten wir uns einmal vor Augen, dass wir bezogen auf die Geschichte des Weltalls erst seit einem Wimpernschlag als Homo sapiens existieren und davon erst einen völlig unbedeutenden Augenblick in der Lage sind, uns über extraterrestrisches Leben Gedanken zu machen. Und halten wir uns vor Augen, dass wir vielleicht in 100 000 oder 1 000 000 Jahren schon nicht mehr existieren (wenn nicht früher, bisher hat keine höhere Säugetierart länger als 4 Millionen Jahre überlebt). Wenn wir andere höhere Zivilisationen erkennen wollten, müssten diese in exakt dem gleichen Zeitfenster leben, eine ähnliche Art der Kommunikation besitzen und sich in einer Entfernung befinden, die Kommunikation überhaupt möglich macht.
Das Fazit ist, dass es eine hohe Wahrscheinlichkeit für Leben außerhalb der Erde und unserer Milchstraße gibt, dass der Nachweis aber höchsten für Mikroorganismen in unserem Sonnensystem gelingen könnte, wenn nicht extrem unwahrscheinliche Zufälle uns zu Hilfe kämen.
Die Entwicklung von mehr Komplexität (ich vermeide bewusst den Ausdruck zu mehr Komplexität) scheint im Wesen der Evolution zu liegen. Zumindest ist es belegt und für jeden evident, dass sich im Laufe der Geschichte des Lebens immer wieder, auch nach Mega-Katastrophen, wie dem Massensterben an der Grenze vom Paläozoikum zum Mesozoikum, bei dem wahrscheinlich 90 bis 96% aller Arten ausstarben (Eldrege 1997), erneut komplexere Formen aus einfacheren entwickelt haben, und das erstaunlich schnell. Daran können auch keine Rückentwicklungen zu einfacheren Formen in dem einen oder anderen Fall etwas ändern.
Es scheint sich hier also um so etwas wie ein Prinzip zu handeln, eine Eigendynamik, die in der belebten Materie liegt. Genauso unbestritten aber ist es, dass die Erstbesiedler unserer Erde, seien sie hier entstanden oder aus dem Weltraum zu uns gekommen, nach wie vor nicht nur existieren, sondern die Erde dominieren. Eine Erde ohne Menschen und andere hochkomplexe Lebewesen ist - das zeigt die Vergangenheit - problemlos denkbar, eine Erde ohne Protoctisten kaum und ohne Bakterien überhaupt nicht. Wir sehen die Welt aus unserer Perspektive, der eines mittelgroßen Säugetiers. Was sich aber unter unseren Füßen im Boden abspielt ist kaum jemandem bekannt. Allein die Zusammenstellung nur von ausgewählten Tiergruppen lässt staunen (Tab. 1). Dazu kommen Abermillionen von Bakterien, Protozoen, Pilzen und anderen Lebewesen.
Der Interpretation von Gould (1998), dass aller Fortschritt eine Illusion ist, kann ich mich nicht anschließen, wohl aber dem, dass der Mensch nicht die Krone der Schöpfung ist und sein musste. Und auch nicht, dass er dies bleiben wird. Natürlich stellt der Mensch etwas ganz Besonderes dar, wenngleich man sich darüber streiten kann, ob es etwas so gutes für diesen Planeten ist. Aber der Mensch scheint, schaut man sich die Evolution an, doch mehr ein Zufallsprodukt zu sein. Hätte nicht ein weiteres Großereignis, das als K-T-Massenaussterben bezeichnet wird (Kreide-Tertiär), also rund 200 Millionen Jahre nach dem weiter oben erwähnten, die Saurier ausgerottet und damit den Säugetieren eine Chance gegeben, dann wäre es vielleicht nie zur Entwicklung des Homo sapiens gekommen. Nicht, dass es nicht zur weiteren Entwicklung komplexer Formen gekommen wäre, aber vielleicht wäre es nicht der Mensch gewesen.
Den Menschen zeichnen einige Besonderheiten aus, wie Selbstbewusstsein, planerisches Handeln, ein Gefühl für Vergangenheit und Zukunft, der intensive Gebrauch von Werkzeugen und anderes mehr. Aber auch bei anderen komplexen Lebensformen könnte man eine Aufzählung von Besonderheiten vornehmen, die dem Menschen abgehen.
Die Frage muss aber gestellt werden, und wird weiter unten erläutert, ob die Entwicklung eines Selbstbewusstseins so oder so gekommen wäre, nur vielleicht bei einer anderen Lebensform?
Fazit ist, dass mehr Komplexität in der Evolution offensichtlich immer wieder entsteht, welche Katastrophen auch kommen mögen, diese aber nicht das Leben als solches ausmacht und nur augenscheinlich in der Welt, die wir wahrnehmen, dominiert.
Für eine breite Palette von Wissenschaftlern und Autoren, die sich mit dem Phänomen Leben beschäftigen, steht dessen Entstehung und Evolution im Vordergrund. Dass Leben durch mehr zustande kommt als nur die bekannten physikalischen und chemischen Gesetzmäßigkeiten, ist für die meisten Wissenschaftler nicht vorstellbar und auch nicht notwendig. Bereits weiter oben wurde aber ausgeführt, dass sich Leben nicht auf Physik und Chemie mit ihren Gesetzen reduzieren lässt und somit die Biologie als Wissenschaft einen eigenständigen Charakter hat, ja haben muss.
Gegen das Paradigma in der Biologie, wie es seit nunmehr einem Jahrhundert besteht, hat es aber immer wieder Wissenschaftler gegeben, die für das Phänomen Leben mehr annahmen als nur einen Haufen Atome, die auf phantastische Art durch naturwissenschaftliche Gesetze zusammengehalten werden.
Bereits Aristoteles (384-322 v.Chr.) sprach von Entelechie, einer besonderen Kraft, die das Leben antreibt. Hans Bergson (1859-1941) nannte diese Kraft élan vital (Vitalismus). Hans Driesch (1867-1941), der seinerzeit sehr bekannte Entwicklungsbiologe, griff die Idee der Entelechie und des Vitalismus ebenfalls auf. Als Entwicklunsbiologe beschäftigte er sich vor allem mit der Embryonalgeschichte von Seeigeln. Die Fähigkeit dieser und anderer Tiere, sowohl Teile ihrer selbst zu regenerieren als auch Funktionen von Teilen durch andere zu ersetzen und bei Störung der Embryogenese dennoch vollständige Individuen entstehen zu lassen, ließen ihn erneut auf die Ideen des Vitalismus zurückgreifen (Driesch 1905). Er nahm eine ordnende Kraft an die das Leben ausmacht, aber an die Materie gebunden ist.
Diese Kraft, auch von ihm Entelechie genannt, stellt keine der bekannten Kräfte oder Energieformen oder Felder dar und unterliegt nicht den bekannten Gesetzen. Sie ist teilbar wie der Embryo, bleibt aber in jedem Teil ganz. Sie ist die Eigengesetzlichkeit lebender Körper, das elementare Naturagenz, das sich an ihnen äußert. Das wesentlichste Kennzeichen der Entelechie solle mit "primären Wissen und Wollen" bezeichnet werden. Driesch betont aber, man solle nicht versuchen, sich die Entelechie konkret vorzustellen. Somit lässt er offen um was es sich genau handeln könnte.
Noch zu Lebzeiten von Driesch begann Wilhelm Reich (1897-1957), der Psychoanalytiker und Arzt, seine Forschung zur Entstehung von Leben, die zu ähnlichen Resultaten führte, wie die von Oparin. Allerdings begann er die Besonderheit von Leben mit einer eigenen Energieform zu erklären, der Orgonenergie. Diese Lebensenergie gehorcht nach Reich ebenfalls keinen bekannten physikalischen Gesetzen, er beschreibt sie aber in einer Form, die der klassischen Physik angelehnt ist (Reich 1971). Im Grunde greift er alte Äthertheorien wieder auf, wie sie bis zu Einsteins Relativitätstheorie gang und gäbe waren. Geschichte hat Reich mit dem Versuch einer Nutzbarmachung der Orgonernergie geschrieben. Sein bekanntestes Produkt waren und sind sicherlich die Orgonakkumulatoren, die auch heute noch des Öfteren genutzt werden (Abb. 4). Sie sollten zur Aufladung des Körpers mit Lebensenergie dienen und in der Tat lassen sich erstaunliche Resultate vorweisen.
Sich auf Driesch berufend entwickelte der Biochemiker Rupert Sheldrake (*1942) in den 70er Jahren seine Theorie der morphischen Felder, von denen das morphogenetische eines ist. Er meinte, ähnlich wie Driesch, dass es für alle Organismen ordnende, unsichtbare Felder gibt, die die Formbildung verursachen, aber auch für Bewegung und soziale Organisation zuständig sind (Sheldrake 1993). Erst in späteren Jahren wurde er darauf aufmerksam gemacht, dass seine morphischen Felder viele Gemeinsamkeiten mit Quantenfeldern besitzen und die von ihm beschriebenen Phänomene große Parallelen zur Nichtlokalität in der Quantenfeldtheorie haben. In seinem neusten Buch (Sheldrake 2001) hält er es dehalb auch für möglich, dass die von ihm beschriebenen Felder im Sinne der Quantentheorie interpretiert werden können. Allerdings schließt er nicht aus, dass es sich doch um völlig anders geartete Felder handelt.
Hier ist ein Exkurs in die Quantentheorie von Nöten, ohne zu weit ins Detail zu gehen. Die Quantenphysik ist mehr als 70 Jahre alt und dennoch bei vielen Naturwissenschaftler, gerade auch Biologen, noch lange nicht angekommen. Neben den bekannten und mittlerweile aus dem Alltag nicht mehr wegzudenkenden Produkten der Quantenphysik, wie dem Laser, gibt es aber weiterreichende Konsequenzen, die das Weltbild durcheinander bringen. Besonders trifft dies für die Quantenfeldtheorie zu. In dieser wird plötzlich mit der Nichtlokalität sogar die Konstante der Lichtgeschwindigkeit in Frage gestellt. Jedes Teil im System weiß von dem anderen was genau passiert. Wird ein Teilchen verändert, hat das unmittelbare Wirkungen auf andere von ihm entfernte und mit ihm in Verbindung stehende Teilchen - und zwar unmittelbar und gleichzeitig - ohne Raum und Zeit überbrücken zu müssen.
Die Quantenphysik ist als einzige naturwissenschaftliche Theorie nicht deterministisch, lässt also letztendlich den freien Willen überhaupt erst zu. Sie ist ggf. die einzige Theorie, mit der sich Bewusstsein erklären lässt, aber sie birgt eben auch viel Zündstoff für unser Weltbild. Die Diskussionen drehen sich vor allem darum, ob die Quantenphysik in die Welt der Atome verbannt werden kann, oder ob sie in der einen oder anderen Form auch in unserer Dimension akzeptiert und angewandt werden kann und muss. Ob mit ihr also auch in unserem täglichen Leben die heile Newtonsche Welt ein Stück weit relativiert werden muss.
Wer sich intensiver mit der Quantenphysik beschäftigt, wird feststellen, dass man auch an philosophische Grenzen kommt. Genau deshalb haben sich so viele Physiker damit schwer getan, z.B. Einstein, und tun es immer noch. Die Quantenphysik bringt die heile Wissenschaft durcheinander und welcher Wissenschaftler mag das schon.
Aber gerade darin liegt das Faszinosum der Quantenphysik, in ihren Berührungsflächen zu dem, womit sich Grenzwissenschaftler beschäftigen. Mit Quantenfeldern ließen sich Entelechie und morphische Felder besser fassen. Aber wer versteht eigentlich genau, was Quantenfelder sind? Liest man die entsprechenden Bücher, so stellt man fest, dass auch dort der Boden noch genauso schwankend ist und noch viel Nebel herrscht, wie auch beim Vitalismus, den morphischen Feldern, Aura und anderen Dingen. Dennoch sehe ich die große Chance darin, eine Allianz mit Quantenphysikern zu schließen, in Aufklärung der Frage "Was ist Leben?". Und man sieht an Physikern wie von Weizsäcker, Görnitz und Dürr, dass dies möglich und sogar greifbar ist.
Das alte Prinzip des Dualismus, mit dem Descartes (1596-1650) uns so viele Probleme bereitet hat (Descartes 1985) lässt sich vielleicht mit Hilfe einer Synthese dessen, was Driesch, Sheldrake und andere postulieren und die Quantenfeldtheorie zu berechnen versucht, auflösen. Der Reduktionismus in den Wissenschaften wurde nur möglich, indem man über den Dualismus den Geist ausklammerte und in Folge auch jede vitalistische oder ähnliche Theorie sofort verwarf. Natürlich hat Descartes sein unbestrittenes Verdienst in der Entmystifizierung des Lebens. Aber nur wenn der Dualismus überwunden wird, und zwar nicht im Sinne einer reduktionistischen Wissenschaft oder eines Monismus à la Heckel (1984), besteht eine Chance zu begreifen, was Leben wirklich ist.
"Wer jemals verschiedene Urtierchen längere Zeit beobachtete, wer gesehen hat, wie auffallend zweckmäßig sie auf alle möglichen Umweltreize bald blitzschnell, bald mit vorsichtiger Zurückhaltung antworten, der wird den Eindruck gewinnen, dass diese Geschöpfe sehr wahrscheinlich seelische Erlebnisse haben." (Nachtwey 1936). Dies konnte man 1936 offensichtlich noch problemlos schreiben, ohne ausgelacht zu werden, denn es handelt sich um das Zitat aus einem durchaus seriösen Buch seiner Zeit. Heute würde ein Biologe dies bestenfalls belächeln und dann selbstbewusst (oder selbstherrlich?) erklären, dass es sich bei den Reaktionen des Urtierchens lediglich um stereotype Reaktionen auf chemische Reize handelt.
Ich bin mir da nicht so sicher. So wie wir bereits weiter oben festgestellt haben, dass Leben mehr ist als nur Materie, die nach chemischen und physikalischen Gesetzen funktioniert, so scheint auch Bewusstsein eine besondere Rolle zu spielen. Ich spreche hier nicht von Selbstbewusstsein, das auf den Menschen und einige andere Säugtierarten beschränkt zu sein scheint. Ich spreche von Bewusstsein im weiteren und vor allem abgestuften Sinne, das mir zu Leben als integraler Bestandteil dazu zu gehören scheint.
Ich bin überzeugt, dass Leben ohne Bewusstsein nicht gedacht werden kann. Mir scheint Bewusstsein neben den oben genannten drei Faktoren für Leben: Autopoiese, Invarianz und Kommunikation als vierter unabdingbarer Faktor dazu zu kommen. Und ich glaube, dass Bewusstsein viel mit dem, was bei Driesch Entelechie heißt, oder bei Sheldrake morphische Felder, zu tun hat.
Bewusstsein auf einer einfachen Stufe ist nicht an Nervensysteme gekoppelt, sondern an komplex organisierte Materie. Ich benutze dabei bewusst den Ausdruck "einfache Stufe", da ich Bewusstsein als ebenso evolutiv sich entwickelnde Eigenschaft empfinde, wie andere Eigenschaften des Lebens auch. Allerdings meine ich, dass auch bei einfachsten Formen des Lebens bereits Bewusstsein im Sinne eines nichtlokalen Feldes existiert und gerade dies das Leben ausmacht.
Skeptisch bin ich allerdings, ob Bewusstsein oder Geist unabhängig von Leben und Materie existieren können. Es ist für mich an autopoietisch organisierte Materie gebunden. Insofern glaube ich nicht, dass es so etwas wie Gott als absolutes Bewusstsein gibt, allerdings glaube ich, dass das Universum und Leben zusammengehören. Dazu im folgenden und letzten Abschnitt.
Aber auch die Tatsache, dass das Universum als ganzes Rahmenbedingungen unterworfen ist, die generell dem Phänomen Leben die Gelegenheit geben, sich zu entwickeln, wirft die Frage auf, ob Leben zum Universum gehört. De Duve (1997) spricht von einer kosmischen Zwangsläufigkeit und ich würde mich dem anschließen und noch darüber hinaus gehen, was vielleicht de Duve gemeint haben könnte: Leben entsteht nicht nur, weil die Rahmenbedingungen dafür so günstig sind und alle Grundelemente per Zufall im Universum vorhanden sind, sondern das Universum ist auf Leben programmiert, es hat quasi eine Lebens-"Hintergrundstrahlung". Das klingt sonderbar angesichts der riesigen Weiten des Universums und der bis heute nicht erkennbaren Existenz von Leben außerhalb der Erde.
Es ist aber auch nicht in dem Sinne gemeint, dass das Universum von Leben voll ist, vielmehr, dass das Universum nicht ohne Leben gedacht werden kann. Wie wir weiter oben gesehen haben, ist Leben auf der Erde fast unmittelbar entstanden, als die Bedingungen dafür reif waren. Vielleicht ist es von außerhalb gekommen, also hat es Leben woanders bereits gegeben. Das heißt, Leben ist wohl im Universum fast unmittelbar entstanden, als sich die Bedingungen nach dem Urknall - wenn dies wirklich der Anfang war - derart entwickelt hatten, dass dies möglich war. Vielleicht ist es auch so, wie Goswami (1997) sich es vorstellt, dass erst das Bewusstsein die materielle Welt erschafft. Ich gebe unumwunden zu, dass ich mich damit noch zu wenig auseinandergesetzt habe.
Ich habe all diese letzten, knappen Bemerkungen geschrieben, ohne konkrete Zahlen, Daten und Zitate zu bringen. Ich halte es in diesem Falle mit Einstein, der einmal sagte, "Nicht alles was zählbar ist zählt und nicht alles was zählt ist zählbar".
Asteroiden Zu den Planetoiden Himmelskörper
Entropie Maß für den Ordnungszustand eines Systems. Gemeinhin wird unter Entropiezunahme eine Zunahme der "Unordnung" verstanden. Gemeint ist aber ein Zustand, der eintritt, wenn man z.B. zwei Flüssigkeiten oder Gase, die durch eine Wand getrennt sind, sich mischen lässt. Nach und nach durchmischen sie sich immer mehr, bis ein totaler Ausgleich entsteht. Dies ist der höchste Entropiegrad
Eucaryoten Organismen mit einem echten Zellkern, in dem sich das genetische Material, die DNS, befindet
Genotyp Die im Genom, also dem Erbgut gespeicherte Information eines Individuums.
Invarianz Die Fähigkeit sich in der Weise fortzupflanzen, dass die Nachkommen identisch mit der Elterngeneration sind
Kometen Aus Gasen und festen Teilchen bestehende Körper des Sonnensystems
Meteoriten Kleiner als Planetoiden aber größer als Moleküle. Sie kreisen wie die Planetoiden um die Sonne
Phänotyp Die äußere Erscheinung eines Lebewesens, die nicht nur durch die genetische Information und Vererbung bedingt ist, sondern auch Umwelteinflüsse
Planetoiden Asteroiden, Kleinplaneten, Himmelskörper, die in ihrer Mehrzahl die Sonne zwischen Mars- und Jupiterbahn umkreisen
Procaryoten Organismen ohne einen echten Zellkern
Protoctisten Eukaryotische, meist einzellige Lebewesen
Protisten Einfache, ein- oder mehrzellige Lebewesen, also Bakterien und Protoctisten
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[1] Dieser und andere nicht gängige Begriffe sind im Glossar erklärt